Der Otto Versand ist bundesweiter Vorreiter für die neue Form von Vorstellungsgesprächen per
Webcam. Personalexperten sehen hingegen Probleme, weil die Kommunikation nur eingeschränkt
möglich ist.
Von Friederike Gehlenborg
Ellen Nagels erste Vorstellung bei ihrem heutigen Arbeitgeber war ungewöhnlich. Statt sich ins
Auto oder in den Zug zu setzen, um die Anfahrt zu einem Vorstellungsgespräch anzutreten, begab
sie sich lediglich vor den heimischen Computer.
Der gängige persönliche Händedruck fiel weg. Und
der direkte Augenkontakt während der Gesprächssituation wurde durch den Blick in eine Webcam
ersetzt: Nachdem sich die Berlinerin auf ihre heutige Stelle als Referentin im Personalmarketing
bei dem Versandhandelsunternehmen Otto beworben hatte, nahm sie an einem Vorstellungsgespräch
per Skype teil.
In den USA und Asien schon weit verbreitet
Das Hamburger Unternehmen nimmt in diesem Bereich deutschlandweit eine Vorreiterrolle ein. Neben
der Kölner Werbeagentur Doc Check ist Otto der einzige Arbeitgeber, von dem bekannt ist, dass er
seine Bewerber auf diese Weise rekrutiert. In den USA und in Asien sind Vorstellungsgespräche
per Webcam hingegen schon weit verbreitet.
Diese moderne Form des Bewerbungsgesprächs hat Vorteile für beide Seiten: Für Otto bringt das
Verfahren vor allem eine Geldersparnis, weil die sonst nötigen Anfahrtskosten der Bewerber
wegfallen - so können selbst Gespräche mit Kandidaten aus dem Ausland kostengünstig gestaltet
werden.
Die Jobanwärter hingegen sparen Zeit. Ellen Nagel beispielsweise musste zum Erstgespräch nicht
aus Berlin nach Hamburg anreisen. Sie hat sich selbst für diese Art des Erstkontakts entschieden,
die Videointerviews finden auf freiwilliger Basis statt. Zur Durchführung sind neben einer
schnellen Internetverbindung lediglich ein Headset und eine Webcam nötig.
Webcam-Interview nur als Vorauswahl
Otto führt das Bewerbungsverfahren mittlerweile bereits seit 2009 durch. Nach drei Jahren
Erfahrung auf dem Gebiet zieht der Arbeitgeber eine positive Bilanz [...]
Der persönliche Eindruck geht auch bei diesem Bewerbungsverfahren nicht verloren: Das Gespräch
per Webcam dient nur dem Erstkontakt, anschließend werden die geeigneten Kandidaten zu einem
Vorstellungsgespräch zu Otto eingeladen. Da der Versandhändler keine Bewerber einstellt, ohne
sie vorher persönlich kennengelernt zu haben, sieht Baumgart [eine Personalerin bei Otto] darin
auch keine Nachteile.
Kritischer wird die Methode hingegen von Experten beurteilt. So hat das Bewerbungsgespräch per
Webcam gegenüber einem herkömmlichen Vorstellungsgespräch ihrer Ansicht nach auch einige Fehler:
"Durch die Kameraeinstellung sind die Kandidaten häufig nur teilweise erkennbar, so können die
Mitarbeiter des Unternehmens wichtige Elemente der Körpersprache ihres Gegenübers nicht
wahrnehmen", sagt Dirk Möller, Bewerbungscoach aus Hamburg.
Skype-Technik birgt Verständigungsprobleme
In manchem Fall könnten die
Arbeitgeber deshalb nicht gut genug herausfinden, ob die Chemie stimme oder nicht. Auch
technische Schwierigkeiten können zu einem Problem werden: "Wenn das Bild während eines
Skype-Interviews plötzlich zusammenbricht, dann können daraus gravierende Verständigungsprobleme
resultieren", so Möller. "Das kann die Bewerber auch im weiteren Verlauf des Gesprächs
verunsichern."
Solche Zwischenfälle gab es bei dem Bewerbungsgespräch von Ellen Nagel nicht. Auch sonst war das
Verfahren für sie nicht problematisch, zugute kam ihr dabei ihre Erfahrung im Umgang mit
Computern. [...] Vor dem Bewerbungsgespräch hat sie genau geprüft, ob die Technik, also das
Skype-Programm, die Webcam und das Headset, funktioniert.
Außerdem hat sie sichergestellt, dass sie sich während des Gesprächs in einer ruhigen,
angenehmen Umgebung befand, um mögliche Störfaktoren kontrollieren zu können. Bewerbungscoach
Dirk Möller hat noch weitere Ratschläge parat: "Im Prinzip gelten die gleichen Regeln wie bei
einem normalen Vorstellungsgespräch. Jobanwärter sollten sich also auch hier im Vorhinein
intensiv über das Unternehmen informieren und sich auf gängige Fragen, wie die zu den eigenen
Stärken und Schwächen, einstellen."
Möglichst neutraler Hintergrund
Eine angemessene Kleidung sei hier ebenso empfehlenswert wie
bei einem persönlichen Vorstellungsgespräch. Darüber hinaus sei es ratsam, während der
Gesprächssituation für einen möglichst neutralen Hintergrund zu sorgen: "Persönliche Fotos und
Poster können einen unseriösen Eindruck erwecken, deshalb ist davon abzuraten", so der Experte.
Anfangs gingen Ireen Baumgart und ihre Kollegen von der Personalabteilung bei Otto davon aus,
dass sich vor allem junge und computeraffine Jobanwärter, wie Informatiker, für dieses Verfahren
entscheiden würden.
Doch sie täuschten sich, denn Kandidaten verschiedener Altersklassen und aus
unterschiedlichen Berufsrichtungen bewerben sich per Webcam. Und es würden sich immer mehr
Bewerber für das Verfahren entscheiden, so Baumgart.