"Pfefferminzia", Artikel auf
https://www.pfefferminzia.de, vom 17. August 2022, 13:27 Uhr:
ANWALT? MAKLER? KUNDE?
Wer stellt eigentlich den Antrag auf Rechtsschutz?
Von Andreas Harms | 17.08.2022 um 13:27 Uhr
Oh nein! Es droht Streit, ein anderer Mensch droht mit Anwalt. Nicht schön, aber dafür gibt es ja die Rechtsschutzversicherung. Doch wer füllt den Antrag aus? Man selber, oder geht man damit schon
zum Anwalt des Vertrauens? Wir haben uns umgehört und sehr unterschiedliche Ansichten zusammengetragen.
Ich muss Sie gleich zu Beginn enttäuschen: In dieser Geschichte gibt es keinen Sieger. Es gibt kein richtig, kein falsch. Jeder der Beteiligten geht die Sache ein kleines bisschen anders an. Und jeder
hat Gründe, Argumente, Sichtweisen. Alle irgendwie nachvollziehbar. Nicht gut für alle, die klare Verhältnisse bevorzugen. Verständlich.
Worum es geht? Um eine auf den ersten Blick recht einfache Frage: Wer stellt die sogenannte Deckungsanfrage, wenn rechtlicher Zoff droht und die Rechtsschutzversicherung zahlen soll? Der Anwalt? Der
Mandant? Der Makler? Oder alle drei an einem Tisch? Nun ja, das dürfte wohl wirklich nicht realistisch sein.
Hört man sich ein wenig um, kommt bereits die erste Überraschung daher. Denn offenbar ist derjenige, der am häufigsten so einen Antrag ausfüllt: der Anwalt. [Ist eine Rechtsschutzversicherung gegeben,
übernimmt er diese Aufgabe in den allermeisten Fällen], sagt beispielsweise Rechtsanwalt
Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. Er habe das auch von anderen Kanzleien gehört, es sei üblich.
Das schmeckt wiederum nicht jedem Versicherer. Bei der Roland Rechtsschutz sieht man es als [Kundenpflicht an, die sich aus dem Vertrag und den dazugehörigen
Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen ableite], wie der Versicherer auf Anfrage mitteilt. Weshalb er empfiehlt, dass sich Kunden persönlich telefonisch melden, bevor sie zum Anwalt gehen.
Zwar hat man auch bei Roland festgestellt, dass Anwälte Leistungsanträge übernehmen. [Trotzdem möchte Roland das ändern. Es liege im Kundeninteresse, sich im ersten Schritt
selbst mit dem Antrag beim Rechtsschutzversicherer zu melden], lässt der Versicherer verlauten. Und warum? [Um den Versicherungsschutz zu erläutern, und wegen der Angebote zur schnellen
außergerichtlichen Konfliktlösung.]
Ganz anders sieht das Rechtsanwalt Wirth. Sein Argument: Wenn der Anwalt den Antrag bearbeitet, ist das effektiver, und es geht weniger schief. [Anwälte wüssten grundsätzlich, welche Informationen
der Rechtsschutzversicherer brauche, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Deckungszusage zu bekommen], so der Anwalt. [Ein Fehler in der Formulierung könne zur Leistungsverweigerung führen.
Laien würden eher über den Tisch gezogen als Anwälte.] Eine strukturierte, schriftliche, kurze, knackige Anfrage vom Fachanwalt für Versicherungsrecht laufe deutlich schneller erfolgreich
durch die Schadensabteilung.
Doch manchmal bleibt es nicht nur bei einer einzigen Anfrage, wie Matthias Petrausch zu berichten weiß. Auch der Rechtsanwalt von der Kanzlei Petrausch & Partner aus Barsbüttel bei Hamburg stellt viele
Erstanfragen, schätzungsweise 80 Prozent der über Rechtsschutzversicherungen abgewickelten Mandate. So etwas dauert zunächst vielleicht zehn Minuten pro Stück und ist erstmal kein großes Problem.
Doch es geht oft noch weiter: Der Versicherer hat Rückfragen, die schon deutlich mehr Zeit rauben. [Die Fragen müssten mit dem Mandanten besprochen und die Antworten an den Versicherer
gesendet werden. Die oftmals telefonische Mandantenauskunft sei zu verschriftlichen und für den Versicherer verständlich zu gestalten. Das sei manchmal mehrfach zu erledigen], so Petrausch.
So kommen durchaus eine oder zwei Stunden zusammen.
Mehrere Stunden Arbeit für die Tonne
Und die können – gerade in kleineren Kanzleien in der heute ohnehin nicht einfachen Personalsituation – in der Summe schon schmerzen. Denn oft wollen Mandanten den Anwalt erst dann in die
Spur schicken, wenn sie sicher sein können, dass ihre Rechtsschutz auch zahlt. Doch die wiederum will im Vorfeld wissen, welche Aussichten auf Erfolg das Mandat hat und warum. Petrausch:
[Der Anwalt müsse die Rechtslage beurteilen und erläutern, auch wenn noch gar nicht klar sei, ob er als Rechtsanwalt aktiv werde und wer die Kosten trage.]
Scheitert es an irgendwas, hat der Anwalt mehrere Stunden für die Tonne gearbeitet. Kann er das nicht einfach mit Mandanten abrechnen? Könnte schon, und bei längeren Schriftwechseln mit dem Versicherer
macht Petrausch das inzwischen durchaus. Insgesamt scheint das aber nicht oft zu passieren. [Eine Berechnung sei möglich, doch man müsse den Mandanten diesbezüglich in Kenntnis setzen und noch
mehr Zeit aufbringen; das sei nicht lohnend. Und der Mandant bleibe auf diesen Kosten sitzen], meint Fabian Kosch, Anwalt in der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte in Hamburg. Auch dort stellen
[in den meisten Fällen] die Anwälte die Deckungsanfrage. Nur sehr selten kämen Mandanten schon mit der Zusage herein, so Kosch.
"Streng genommen ein eigenständiges Mandat"
Demnach müssen Anwälte schon mal vorarbeiten, damit die Rechtsschutz einspringt. [Das Beschaffen der Rechtsschutzdeckung könne man als eigenes Mandat interpretieren,
insonderheit, wenn der Kunde den expliziten Auftrag gebe, sie für ihn zu besorgen], heißt es von der Roland Rechtsschutz. Zugleich weist der Versicherer darauf hin,
dass eventuell dafür anfallende Kosten (wenn der Anwalt es also doch abrechnet) nicht durch den Vertrag abgedeckt sind. Wenn Sie jetzt einen Knoten im Kopf bekommen haben, können wir das gut nachvollziehen.
Wobei: Geht es nach Dirk Möller, müssen Anwälte gar nicht unbedingt auf dem Papierkram alleine sitzen bleiben. "Ich helfe da gerne mit", sagt der Versicherungsmakler aus Hamburg. Er habe aber auch schon
beobachtet, dass wiederum Anwälte mit dieser Dienstleistung sogar werben. "Mandanten fühlen sich dann gleich gut aufgehoben", sagt der Makler. Und es sei auch mitunter ganz gut, dass der Anwalt beim
Leistungsantrag schon mit dabei ist, "dann ist der Kunde dem Rechtsschutzversicherer nicht ausgeliefert". Zuweilen kommt es sogar vor, dass Kunden zum Anwalt gehen, ohne ihm überhaupt Bescheid zu sagen.
"Ich kriege das dann erst hinterher mit", so Möller.
Man muss allerdings dazusagen, dass Rechtsschutzfälle bei Dirk Möller nur ein paar Mal im Jahr auftreten. Riechen Kunden schon beim ersten Gespräch nach Knatsch – "unangenehme Zeitgenossen" nennt
der Makler solche Leute –, lehnt er sie durchaus ab.
Was die Versicherungsbedingungen sagen
Und wie sehen andere Versicherer die Sache? Die Advocard Rechtsschutzversicherung wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Deshalb haben wir in den Versicherungsbedingungen nachgesehen. Daraus geht hervor, dass
der Versicherungsnehmer alle Anträge zu stellen hat, wörtlich: "Sie müssen uns den Rechtsschutzfall unverzüglich mitteilen, gegebenenfalls auch telefonisch." Das war erst einmal zu erwarten. Allerdings gibt
es auch direkte Hinweise zu anwaltlichen Aktivitäten. Demnach müssen Versicherungsnehmer "Kosten verursachende Maßnahmen ... nach Möglichkeit mit uns abstimmen", soweit das zumutbar ist. Als Beispiel für so
eine Maßnahme nennt Advocard: den Anwalt.
Das gleiche steht auch in den Allgemeinen Bedingungen der Arag, ebenfalls mit dem Wörtchen "müssen". Auf unsere Anfrage zeigt man sich jedoch recht entspannt. Zwar sei der Rechtsschutzkunde der
Vertragspartner, und man helfe auch gerne, wenn ein Fall ansteht. [Der Kunde habe zudem die Möglichkeit, Dritte mit der Meldung des Rechtsschutzfalls zu mandatieren], sagt Unternehmenssprecher
Christian Danner. [Meist seien dies Anwälte – aber auch Versicherungsvermittler respektive -makler dürften einen Rechtsschutzfall anzeigen.]
Damit bestätigt sich das zu Beginn Angekündigte: Hier gibt es kein richtig und kein falsch. Es kommt einmal mehr auf Umstände und Akteure an.
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