Gotthilf Fischer und seine Massenchöre könnten Modell gestanden haben. Vor einigen Jahren machten sich viele
Unternehmen auf den Weg ins Tonstudio. Unternehmenshymnen galten als neues, Erfolg versprechendes Werkzeug der internen
Kommunikation. "Es gab einen wahren Hype", sagt Rudi Maier, Kulturwissenschaftler an der Universität Tübingen.
Doch inzwischen ist die Begeisterung wieder abgeflaut. Der Nutzen der Lieder wird in Zweifel gezogen.
VORSTAND ZUM ANFASSEN
Die Öffentlichkeit bekommt von Unternehmenshymnen selten etwas mit. Einige aber gelangen dank des Internets doch nach
außen. Wer recherchiert, findet beispielsweise Lieder der Firmengruppe Tengelmann, der Beratungsgesellschaft Ernst
& Young und der Fluglinie Air Berlin. Die Supermarktkette Kaufland hat ebenfalls ein Lied, mag auf Anfrage aber nicht
darüber sprechen. Der Solartechnologiehersteller Conergy ist da offener. "Unternehmenshymnen funktionieren nur, wenn
sie in die Kultur, Stimmung und Mentalität des Unternehmens passen", sagt Alexander Leinhos, PR-Manager bei
Conergy. Die hauseigene Hymne "The Power of Light" gibt es seit 2006. Sie ist Identifikationssymbol, Stimmungsmacher und
Erkennungszeichen. Das Lied wurde im November 2006 in einem Tonstudio von professionellen Sängern eingesungen. Im
Hintergrund traten die Mitarbeiter auf. Auf der Weihnachtsfeier im Dezember sang der Vorstand zusammen mit der Belegschaft
das Lied. "Die Hymne fördert die Gemeinschaftskultur und zeigt, dass wir Chefs zum Anfassen haben", sagt Leinhos.
Auch bei Westaflex, einem Gütersloher Haustechnikhersteller, ist es Tradition, auf Weihnachtsfeiern den Firmensong
zu singen. "Vor fünf Jahren fing alles ganz harmlos mit einem Lied für die Telefonwarteschleife an, die von
einem Radiosender zur 'Besten Telefonschleife des Nordens' gewählt wurde", sagt Geschäftsführer Jan
Westerbarkey. Darauf folgte ein Image-Video, das mit dem Song unterlegt wurde. Inzwischen gibt es die Hymne sogar in
verschiedenen Versionen. Eine
Weihnachts-, Oster- und Instrumentalversion.
Vor zwei Jahren kam auch dem Flughafen Hannover die Idee eines Corporate Songs. Das Unternehmen beauftragte einen
Musikproduzenten, der "Close to the World" komponierte. Das Lied wurde zunächst nur intern kommuniziert, dann
startete es eine Karriere als Werbemittel. Das Musikstück wird außerdem für einen Imagefilm genutzt, der
bei einigen Flügen während der Ankunft in Hannover gezeigt wird. "Corporate Songs sind zeitgemäße
Werbe- und damit Lobbyinstrumente für Hannover und den Flughafen. Sie sind nicht zwingend notwendig, in der Wirkung
jedoch nicht zu unterschätzen", sagt Sönke Jacobsen, Pressesprecher und Leiter
Unternehmenskommunikation/Marketing beim Flughafen Hannover.
Unternehmen wollen mit Hymnen die Belegschaft enger an sich binden und den Teamgeist stärken. Die Zufriedenheit der
Mitarbeiter soll erhöht werden. "Eine zufriedene Belegschaft arbeitet besser und profitabler", sagt Rudi Maier.
Für ihn sei das zentrale Problem allerdings, dass in Unternehmenshymnen viel Gemeinschaft und Zusammenhalt
versprochen werde. Die Realität mit ihren Alltagsenttäuschungen, bestehend aus Personalabbau und den damit
verbundenen Ängsten, sei oft etwas ganz anderes.
Ohnehin gehen die Meinungen über den Sinn und Nutzen von Unternehmenshymnen bei Kommunikationsexperten weit auseinander.
Das ist wohl mit ein Grund, warum sich das Firmenlied nicht flächendeckend durchgesetzt hat. "Konzerne setzen auf
unterschiedliche Arten, sich ihre Unternehmenskultur zu schaffen", sagt Veronika Hucke, Leiterin Unternehmenskommunikation
bei Philips. Zu ihrer Firma passe keine Hymne, Philips brauche kein Lied, um seine Mitarbeiter zu motivieren. Dennoch
kursiert im Internet ein Lied, das angeblich von und für Philips sei. "Philips was My First Love" heißt das
Stück, ist aber eine Fälschung. Eine, über die Veronika Hucke lacht.
Jörg Allgäuer, Leiter Bereich Kommunikation der HypoVereinsbank, kann sich generell nicht vorstellen, dass
das Konzept der Unternehmenshymne in Deutschland trägt. "Unternehmenshymnen wirken zwar auf der emotionalen Ebene,
sind aber keine wirklich effektive Kommunikationsform", sagt er. "Unternehmenshymnen transportieren meist keine relevanten
Botschaften, sondern eher diffuse Visionen. Außerdem sind die Texte nur schwer zu ändern und können damit
nicht an Entwicklungen angepasst werden, wie es für eine dynamische Kommunikation nötig wäre." Das sieht
nicht jeder so. Die Drupa, eine Fachmesse für die Druck- und Medienindustrie, hat ihre Hymne bereits drei Mal
geändert. Seit 1986 gibt es die Hymne, im Jahr 2000 erhielt sie ein "Face-Lifting". 2004 und 2008 folgten wieder
neue Versionen. "Die Songs dürfen als Hymne bezeichnet werden, weil sie selbst die Menschen auf den Philippinen
zum Aufstehen und Mitsingen animierten, wenn sie angespielt würden", sagt Monika Kissing, Pressesprecherin der
Drupa. Anlass, das Lied zu kreieren, war es, den "Wir-Gedanken" zu stärken.
IN JAPAN EIN RITUAL
Die Tradition der Firmengesänge ist lang. Bereits im Mittelalter hatte es Zunftgesänge gegeben. Doch das ist
Vergangenheit. "Heute ist es vor allem wichtig, modern zu sein, also bedient man sich der Pop-Musik", sagt Rudi Maier.
Der Kulturwissenschaftler beschäftigt sich seit rund zwei Jahren mit dem Thema Firmenhymnen. Er habe wenige entdeckt,
die nur auf die Beschäftigten zielen. Die ersten Firmenhymnen seien ursprünglich in den Zwanzigerjahren in den
USA entstanden. In Japan traten die ersten Hymnen in Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Dort sind sie heute zu
einer Art Ritual geworden. Sie sind Bestandteil des Alltags der Japaner. "In Deutschland haben sie eher eine
Fetenbedeutung", sagt Maier.
Dirk Möller, Mitinhaber von Maus Möller, einer Agentur für Werbemusik, bekommt im Jahr etwa
fünf Aufträge von Unternehmen zur Produktion einer Hymne. Seinen Firmenkunden bietet er an, den Text und die
Musik der Hymne gemeinsam mit ihren Mitarbeitern zu schaffen. Möllers Kunden geht es im seltensten Fall um die
Werbewirkung. Die Hymnen sind für den internen Gebrauch bestimmt, drehen sich fast ausschließlich um Geschichten
aus dem Unternehmen. "Im besten Fall sollte jede Abteilung im Song erwähnt werden, damit sich niemand unter den
Tisch gekehrt fühlt", sagt Möller.
HÄME DROHT IMMER
Eine gewisse Gefahr, dass die Unternehmenslieder die Grenze zur Peinlichkeit überschreiten, besteht immer. Teilnehmer
von Internetforen machen sich über die "gelungensten" Stücke lustig. Über die Air-Berlin-Hymne heißt
es da beispielsweise: "Der Song klingt wie ein Gassenhauer, für den sich Dr. Alban damals zu schade war."